Szene 15: Das gewagte Unternehmen
Peachfield, Landeshauptstadt von Sunndi, am 2.Tag, Herden, 587 CY.
Ein Monat war vergangen, seit sie am 1.Sonnentag im Monat des Pflanzens mit den Priestern des Pelor-Tempel die Expedition ins Hestmark Hochland geplant hatten. Jetzt war die Mission erfolgreich abgeschlossen und die Ruine vollständig erkundet. Man hatte unzählige Schriftstücke geborgen, die in Altem Suloise geschrieben waren – der Sprache der berüchtigten Scharlachroten Bruderschaft. Die Priester des Pelor hatten einiges übertragen können, aber vieles würde noch Zeit in Anspruch nehmen, denn hunderte Texte mussten übersetzt werden. Und nicht alles würden sie offenbaren, da manches Wissen darin zu gefährlich war, um es weiterzugeben. Aber die Diener des Pelor hatten den Abenteurern, dem Halbling Globetrotter Pug Pelzfuß, dem Kämpfer Nuntakaa und dem Ritter Sir Graham erklärt, dass die Vorfahren der Scharlachroten Bruderschaft, die sogenannten Suloise, vor etwa 1000 Jahren aus dem Nordwesten in die Region von Sunndi gekommen waren und sich hier und weiter im Süden niedergelassen hatten. Die Ruine im Hestmark Hochland war scheinbar eine Heimstätte eines Ordens böser Nekromanten gewesen, die von den alten Suloise abgestammt und dann dort ihren Untergang gefunden hatte. Die Abenteurer bekamen, wie vorher vereinbart, Heilung und 1000 Neue Kronen. Sie hatten mit der Expedition Pelor und dem Land Sunndi eine Gegenleistung für die Rettung erbracht, die ihnen eine Mission vorher in der Ruine zuteil geworden war. Denn fast wäre der Ort ihr Ende gewesen und ein Diener des mächtigen Sonnengottes hatte eingreifen müssen, um sie zu bewahren. Die Pelor Priester deuteten diesbezüglich an, dass sie noch eine weitere Expedition in die Ruine unternehmen würden, um sie zu versiegeln. Das Böse an diesem Ort musste der Öffentlichkeit unzugänglich gemacht werden.
Der Halbling Schurke und die beiden menschlichen Kämpfer verabschiedeten sich mit dem Segen der Sonnen-Priester und dem Wissen, dass Pelor zufrieden war. Hohepriester Relandon, der sie in die Ruine begleitet hatte, verabschiedete sich auch noch einmal herzlich. Er war sehr zufrieden, dass die Mission am Ende doch noch geglückt war. Man hatte neues Wissen gefunden hatte, um den Orden der Scharlachroten Bruderschaft besser verstehen und das Königreich Sunndi besser vor diesem schützen zu können. Vor dem Feind, der im Süden, jenseits des großen Sumpfes, auf dem Tilvaneaut Plateau, sein Reich hatte und versucht hatte, die gesamte Flanaess zu unterwerfen. Zwei der ehemaligen Bündnispartner Sunndis, die Lordschaft der Inseln im Osten und Idee im Westen, waren immer noch nicht wieder befreit. Und Onnwal im Nordwesten war halb invasiert und musste um seine Unabhängigkeit kämpfen.
Relandon würde sich bald mit einer Expedition in die Hestmark Hügelregion begeben, um die Ruine der Nekromanten zu versiegeln und danach weiter zur Freistadt Dullstrand reisen, um die dort ausgebrochene Seuche zu untersuchen. Etwas, was auch nicht ganz ungefährlich war, da die Hälfte der Bürger bereits die Stadt verlassen hatte. Aber vielleicht würde man sich bald wieder treffen, denn die Wege der Götter waren unergründlich, meinte er lächelnd beim Abschied. Der Tempel des Pelor stand den Abenteurern zum Besuch immer offen, auch wenn er selber nicht anwesend war.
Die Abenteurer gönnten sich einen Tag Aufenthalt in Peachfield, um sich etwas zu entspannen und die Schönheit der parkanlagenreichen Stadt zu genießen, durch die auch ruhig und klar der Gloriol Fluss unter mehreren Brücken südwärts strömte. Es war die größte Stadt Sunndis mit einigen tausend Einwohnern und den wichtigsten Einrichtungen. Darunter Gericht, Akademie der Magier, Universität, Bibliothek, Gilden, dem militärischen Hauptquartier, Gefängnis und natürlich der neuen Burg Königs Hazendel. Sie war auch der einzige Ort im Land, in dem eine größere Anzahl von Halbmenschen in eigenen Ortsteilen lebte. Es gab einen Stadtteil für Zwerge, Gnome, Halblinge und Elfen. In einem Großprojekt wurden nun nach dem Greyhawk Krieg die Stadtmauern auf eine Dicke und Höhe von 6m erweitert, sowie die Burg des Königs errichtet. Die Stadt war erfüllt von positiven, angeregtem Treiben, dem Duft der unterschiedlichen Küchen, Schmieden, Parkbäumen und Blumen. Genauso bunt verhielt es sich mit den Klängen und Sprachen, die ertönten von Barden, Händlern und normalen Menschen. Peachfield war eine Stadt des Friedens und der Blüte seiner unterschiedlichen Landesrassen und der neue Ossan-Platz verkündete vom Sieg nach der Greyhawk-Schlacht.
Dann nahmen die Abenteurer Abschied voneinander, um einer Folgeeinladung zu folgen. Jeder hatte kurz nach dem Treffen im Pelor Haupt-Tempel Besuch von einem weiteren Abgesandten erhalten. Pug sollte sich kurz in der königlichen Burg einfinden und würde anschließend seine eigene Familie im Hohlen Hochland im Westen besuchen. Nuntakaa und Sir Graham hatten eine Einladung von Lord Terralgorn, dem Grafen der Estmark, erhalten. Dieser gab ein Bankett an seinem Hof in Saltin und hatte sie eingeladen, seine Gäste zu sein. Lord Terralgorn galt unter den 18 menschlichen Grafen Sunndis neben Paladin-Lord Desmond von Dulgan und Lord Feddory von Brassport, als der ritterlichste und kämpferischste, adlige Großfürst. Er konnte auf eine Heritage zurückblicken, die Jahrhunderte in die alten, angesehenen Adelsfamilien des ehemaligen Großen Königreichs zurückreichte, die aber nunmehr seit über 130 Jahren Sunndi und seinem neuen König treu ergeben war.
Bevor es aber soweit war und die Kämpfer in die Estmark zu dem feierlichen Anlass reisen konnten, wurden sie von ihrem alten Freund Randragon kontaktiert. Der menschliche Magier hatte Neuigkeiten für sie, war aber auch wissbegierig zu erfahren, was sie im Hestmark Hochland und danach erreicht hatten. So trafen sie sich am 4.Tag, dem Gottestag, im Monat der Herden in Bera Skrae, der kleinen Stadt der Barden, im alten Stammlokal für reisende Abenteurer: dem „Tratschenden Weib“. Randragon, der über 50 Jahre alt war, hatte wie immer sein freundliches Brownie-Familiar „Spinx“ an seiner Seite, welches wohlauf war und alle herzlich grüßte. Bei dem geselligen Abend berichteten Nuntakaa und Sir Graham von den Ereignissen in der ungastlichen Hügelregion im Südosten des Landes. Pug, der Halbling, würde die Gruppe nicht begleiten, da er seit langem einigen, privaten Dingen nachgehen wollte. Er versprach aber, sie bei einem der kommenden Festwochen wieder zu treffen. Dann war Randragon an der Reihe. Es ging um den magischen Gegenstand, den man herstellen wollte. Er fasste sich relativ kurz und wollte ihnen am nächsten Tag etwas vorführen. Daher traf sich die Gruppe der Abenteurer am Folgetag abends. Sie begab sich in eine dunkle Nebengasse der Stadt und alle Anwesenden fassten sich an den Händen und formten einen Kreis. Dann murmelte der Magier arcane Worte und die Umgebung veränderte sich mit einem kurzen Flirren in der Luft. Die Umgebung veränderte sich. Sie standen auf einer hügligen Anhöhe neben einem Sumpfgebiet. Der Magier wirkte einen Licht-Zauber, der daraufhin seinen mannshohen Stab an der Spitze umgab. Sie stellten fest, dass sie sich mehrere Dutzend Meter neben dem Rand des größten Sumpfes der Flanaess befanden - dem Weiten Sumpf. Über 120 Meilen südlich von Bera Skrae. Im Reich der Insekten, Krankheiten, Echsenmenschen, Bullywugs, Schwarzen Drachen und anderen Amphibien. Die Abenteurer gingen bis an seinen Rand, während der Untergrund unter ihren Füßen matschiger und dann sumpfiger wurde. Währenddessen schienen die beiden Monde Greyhawks über ihnen verheißungsvoll. Die weiße Luna im Vollmond und die aquamarinfarbene Celene im dreiviertel Schattenmond. Die Luft roch nach feuchtem, leicht stinkenden Morast, der aber auch vom Duft wilder Sumpforchideen und Zypressen getränkt war. Am Rand des Schilfes blieb die Gruppe stehen. Sir Graham sprach als erster. Er wirkte wie immer ruhig und ausgeglichen.
„Oh, der Weite Sumpf. Da habt Ihr uns aber eine schöne Reise beschert, Randragon.“ Der Magier lächelte.
„Nun, ich habe Euch dorthin gebracht, wohin Euch die bevorstehende Reise führen wird. Die Unternehmung ist nicht ungefährlich. Der Sumpf lässt nicht gerne Besucher wieder gehen. Und der Gegenstand, den Ihr begehrt, kann nur hier fertiggestellt werden.“ Nuntakaa, der erfahrene Kämpfer, blickte ihn ernst an.
„Das ist wohl der Preis, den man zahlen muss, nehme ich an.“, meinte er und Randragon bestätigte.
„So ist es. Wir müssen uns gut vorbereiten. Ihr auf Eure Art und Weise und ich auf die meine“. Der Magier hob einen Stein auf und warf ihn in das trübe Wasser. Der Stein klatschte auf und versank augenblicklich.
„Man kann nicht überall gehen, deswegen brauchen wir auch ein Boot. Die Pferde sind hier zu ungeeignet und auch in Gefahr vor den Kreaturen des Sumpfes.“ Er zeigte mit seinem leuchtenden Stab in die Dunkelheit Richtung Sumpf hinaus und sprach weiter. „Ich hoffe, Ihr könnt schwimmen und tauchen. Wenn nicht, ist es nun ein guter Zeitpunkt, es zu erlernen“, meinte er ernst.
Die beiden Kämpfer musterten die Umgebung und untersuchten dann mit einem langen Stock den Anfangsbereich des Morasts. Zuerst versanken sie nur bis zu den Knöcheln, dann nach weiteren 20 Metern bis zu den Knien im trüben Wasser. Mehr waren sie nicht bereit zu wagen.
„Wie wollt Ihr den Drachen hier finden, Randragon?“, wollte Nuntaka, der menschliche Kämpfer, wissen. Der intelligente Ritter Sir Graham schloss sich an. Sein Akzent aus Veluna war immer weniger zu hören.
„Wir benötigen magische Hilfsmittel. Zum Aufspüren und im Kampf, denke ich“, meinte der kräftige Ritter aus dem fernen Land im Nordwesten in seiner Vollrüstung. Er bezweifelte, dass er sie im Sumpf tragen konnte.
„So ist es. Ich werde einige Zauber wirken, mit denen ich versuche, einen Drachen zu lokalisieren oder seine Aufmerksamkeit zu erregen. Auch im Kampf werden Euch einige Zauber unterstützen, aber wir werden uns vorher noch einmal in Humblish und in Masshard informieren.“, erklärte der Magier. Spinx, das Brownie, hatte zwar die ganze Zeit aufmerksam zugehört, beobachte aber auch wie gebannt die gefährliche Landschaft. Irgendetwas schien seine Aufmerksamkeit geweckt zu haben. Aber noch erschien alles ungefährlich, denn das Waldwesen verhielt sich ruhig. Die kleinen Feenwesen hatten ein Gespür für drohende Gefahren und Spinx hatte schon viele Reisen zusammen mit Randragon bewältigt. Allerdings war ihm der Sumpf etwas unheimlich, weswegen es unentwegt die Wasseroberfläche und das Schilf beobachtete. Die fremdartigen Pflanzen schienen es zu faszinieren.
“Humblish und Masshard?“, wollte Nuntakaa wissen. Er war trotz der spürbaren Bedrohung durch den Sumpf aufgeregter und neugieriger als sonst. Er wollte den Gegenstand, den sie bald fertigstellen würden, endlich in seinem Besitz wissen.
„Die beiden Flussdörfer im Süden Sunndis, die angeblich vor ein paar Monaten von Schwarzen Drachen überfallen worden sind. Dort werden wir uns am 1.Sternentag im 9.ten Monat, dem Ernte-Monat treffen. In der Taverne von Humblish. Bis dahin werde ich noch eine Forschung durchführen und den Gegenstand vorbereiten. Hofft, dass es gelingt, sonst müssen wir bis zum nächsten Jahr warten.“, beendete der Magier seine Ausführung. Nuntakaa musterte Sir Graham.
„Und Ihr werdet uns begleiten?“, fragte er den kräftigen Kämpfer, mit dem er schon seit längerem Seite an Seite kämpfte. „Es wäre nicht nötig, aber ich bin um Eure Unterstützung dankbar, wenn ich ehrlich bin.“
„Ja. Das ist doch eine interessante Sache, die Ihr da vorhabt. Außerdem wollte ich schon immer einmal sehen, wie es in dem Sumpf aussieht.“ Lachte er und blickte hinaus in den nächtlichen Sumpf.
„Ich danke Euch dafür“, meinte Nuntakaa, „Es wird Euer Schaden nicht sein.“, dann wendete er sich wieder an Randragon. „Dann bis zum 1.Sternentag im Erntemonat“, blickte er den Magier an und dieser bestätigte feierlich und lächelte.
„Bis in drei Monaten. Bis zum 1.Sternentag in Humblish.“ Damit blickten sie alle drei in den nächtlichen Sumpf hinaus. Dieser zeigte sich im weißlichen Mondschein und der goldgelben Lichtkugel des Magiers. Glitzernd und grässlich schön zugleich in seiner Pracht aus Schilf, treibenden Schlingpflanzen, Teichrosen und morschen, sterbenden Bäumen. Das Heim von Banditen, abtrünnigen Nekromanten, Tausenden von Echsenmenschen, Bullywugs, Stampfenden Hügeln, Irrlichtern, Schwarzen Drachen und sonstigen, unbekannten Wesen. Der Ort, der voller Leben war, aber an dem auch alles enden konnte. Der Ort, um den sich finstere Legenden rankten und der dunkle Halbgott Wastri über die Bullywugs herrschte - der sogenannte Hammer der Halbmenschen. Seit Jahrhunderten griffen etwa alle 20 Jahre Truppen der primitiven, froschartigen, humanoiden Wesen die Halbmenschendörfer im Süden von Sunndi an und ermordeten die Bevölkerung oder entführten sie in die Sümpfe. Dinge, über die die Abenteurer in den nächsten Monaten nachdenken konnten, während sie sich auf die Reise in den Sumpf vorbereiteten. Randragon und die Anwesenden formten wieder einen Kreis und der Magier sprach die arcanen Worte mit denen die Gruppe wieder nach Bera Skrae zurückehrte.
Niemand sah die großen Wasserblasen im sumpfigen Schilf aufsteigen, als sich die Gruppe magisch wegbewegt hatte. An der Stelle, die das Brownie-Familiar vorher die ganze Zeit intensiv beobachtet hatte …